Messenger Services: die Qual der Wahl
Die Onlinewelt wurde kürzlichen von einer höheren Welle überschwemmt: Facebook mit ca. 1.2Mrd. Nutzern übernimmt Whatsapp mit 450Mio. recht aktiven Chatwütigen. Und damit eine grosse Gruppe von Leuten, die zwar dem einen amerikanischen Dienstleister nicht trauen, dafür aber dem anderen amerikanischen Dienstleister sämtliche Netzwerkinformation schenken…ääähh…für einen symbolischen Euro verkaufen. Information war selten billiger…
Ausgehend davon, dass sich nun viele Leute nach einem neuen Kommunikationsdienst umsehen möchten und getrieben von meiner persönlichen Aversion gegen Scheissdienste wie Whatsapp, habe ich in letzter Zeit ein paar mehr oder weniger interessante Alternativen ausprobiert, natürlich gewürzt mit ganz subjektiven Anforderungen.
Anforderungsspezifikation
Damit der Tobi einen Kommunikationsdienst benutzt, sollte grob folgendes einigermassen erfüllt sein:
- Der Anbieter respektiert meine Privatsphäre und überträgt nur die Daten auf seinen Server, die zur Abwicklung des Dienstes benötigt werden.
- Der Anbieter hat seine Infrastruktur und Sitz in einem westeuropäischen Land und es gelten die entsprechenden Gesetze.
- Eine ausreichend grosse Zahl an Kommunikationspartnern aus meinem Netzwerk ist vorhanden oder lässt sich überzeugen. 🙂
- Die Verbindung wird mindestens zwischen Client und Server, besser aber noch von Ende zu Ende verschlüsselt.
- Der Messenger integriert sich ordentlich in die Kontaktverwaltung meines Smartphones.
- Der Messenger speichert Chatlogs nur lokal, unterstützt Gruppenchats, Bild- und/oder Dateiversand und am besten noch (Video-)Telefonie.
Viele Benutzer in diversen Foren fordern einen bequemen, top-sicheren und quelloffenen Client, möglichst auf mehreren Geräten gleichzeitig und sowieso unter jedem Betriebssystem. Dass diese Anforderungen derzeit nicht erfüllbar und teilweise auch konträr sind, ist mir bewusst und daher ist das primäre Ziel, einen unter Android und iOS lauffähigen Chat-Client zu evaluieren.
Vielversprechende Kandidaten
Durch die intensive Berichterstattung wurden neben populären Kandidaten auch Lösungen genannt, die ich bisher nicht kannte. Und da der globale Alles-Dienst Joyn derzeit eher eine Totgeburt ist (warum auch immer…), bleibt nur der Wechsel auf eine mehr oder weniger proprietäre Lösung.
In diesem Artikel möchte ich daher die folgenden Systeme ein klein wenig genauer vorstellen. Ich kenne sicher nicht jedes Detail und manches ist auch Spekulation. Die Reihenfolge gibt meine derzeitige Favoritenliste wieder.
Es gibt noch etliche Clients mehr. Doch bei den meisten bin ich mir sicher, dass sie nie eine Verbreitung finden werden, die ein Aufspringen lohnenswert macht oder sogar schon alt sind und nicht mehr gepflegt werden.
Überblick
Eine grundsätzliche und recht technische Übersicht über aktuelle IM-Dienste für mobile Anwendungen bietet Wikipedia. Die Chatclients der grossen Social Media-Netzwerke sind hier explizit ausgeklammert.
Kriterium | Threema | iO | TextSecure | Telegram |
---|---|---|---|---|
Downloads (Android) | > 1M | > 100k | > 500k | > 10M |
Version (Android) | 2.1 | 2.2.0 | 2.4.2 | 2.3.3 |
Systeme | Android, iOS | Android, iOS | Android | Android, iOS |
Groupchat | ≤ 20 | ja | ? | ≤ 200 |
Filetypes | Bild, Video, Ort | Bild, Video, Ort, Kontakt | Bild, Video, Audio | Bild, Video, Ort, Dokument |
Threema
Threema wurde durch diverse Online-Medien als valabler Ersatz für Whatsapp angepriesen. Mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, einem schweizer Entwickler, in der Schweiz stationierter Hardware und einer scheinbar schnell wachsenden Nutzergemeinde also einen Versuch wert.
Die Installation geht glatt von der Hand. Falls man nicht ein Backup von einer anderen Installation einspielen möchte, kritzelt man zu Beginn ein beliebiges Muster zur Erzeugung seines eigenen Fingerabdrucks und ist damit praktisch schon fertig. Als „Benutzernamen“ erhält man eine 8-stellige ID und kann damit bereits anfangen zu kommunizieren – eine Handynummer oder eMailadresse sind eigentlich nicht nötig. Dennoch hat man die Möglichkeit, eine Nummer und/oder Mailadresse zu hinterlegen, damit man selbst bei den Kollegen in der Kontaktliste auftaucht, sofern eine dieser Angaben in deren Adressbuch liegt. Für diesen Abgleich werden die Daten gehashed auf dem Server abgelegt. Das finale Vertrauen in den Chatpartner wird aber erst hergestellt, wenn man den Key des Anderen als 2D-Barcode einscannt. Der Vertrauensstatus wird durch farbige Punkte angezeigt, was sicher eines der auffallendsten Merkmale von Threema ist.
Der Rest der App ist hübsch gemacht, die Optik und Symbolik sind gefällig. Datenaustausch funktioniert in Form von Bildern, Videos und Orten. Andere Dateitypen sind derzeit nicht möglich, ebensowenig weiss ich über Grössenbeschränkungen. Gruppenchats sind ebenfalls verfügbar. Im Laufe der Zeit hat die App spassige Erweiterungen erfahren, wie z.B. kurze Sprachnachrichten oder Abstimmungen in Gruppen. Obwohl die App nur in Teilen quelloffen ist, gebe ich dem Schweizer Standort und dem Leitbild des Autors ein recht hohes Gewicht. Für mich ist diese Lösung derzeit der Favorit, auch wenn der Nutzerkreis natürlich noch wachsen muss.
Swisscom iO
Anfangs 2013 lancierte der Schweizer Provider Swisscom eine eigene Messaging-Lösung. Zuerst dachte jeder an die erste Implementation von Joyn in der Schweiz (deshalb habe ich es mir angesehen), aber es ist vielmehr ein proprietäres System wie Whatsapp – ohne die Grausamkeiten.
Grundsätzlich funktioniert iO überall auf der Welt mit jedem Provider und natürlich auch im WLAN. Als grösste Besonderheit sticht die Telefonie-Funktion hervor, die im WLAN natürlich gratis ist. Das Geschäftsmodell stützt sich mit darauf ab, dass zusätzliche Pakete gebucht werden können, um günstig aus dem Mobilfunknetz andere Rufnummern zu erreichen. Ansonsten unterstützt iO mittlerweile auch Gruppenchats und den Versand von Kontakten, Orten, Fotos und Videos. Besonders vermerkt wird die Tatsache, dass auch hier die Daten nur in der Schweiz gespeichert werden und das Telefonbuch nicht hochgeladen wird. Verschlüsselt wird in diesem Fall immerhin der Verkehr zwischen Client und Server.
Die Installation ist denkbar einfach. Natelnummer eingeben (bei Swisscom-Kunden merkt die App das im Mobilfunknetz von selbst), Code aus Bestätigungs-SMS eingeben und fertig. Anschliessend lässt sich noch ein Konto mit (irgendeinem) Namen und einem Foto speichern. In der Kontaktliste wird mit einem Symbol angezeigt, ob der Kollege iO ebenfalls nutzt.
TextSecure
Leider etwas nach der WA-Übernahme wurde eine neue Version des TextSecure-Clients für Android veröffentlicht – iOS soll in Kürze folgen. Der Vorteil dieser Lösung – und nur deshalb ist sie dabei – ist die vollständige Quelloffenheit. Firma und Infrastruktur befinden sich in den USA, was eigentlich ja schon zur Disqualifikation geführt hätte.
Die Installation verlief (vermutlich wegen Überlast) etwas harzig, ist aber sonst ziemlich einfach. Es wird ein zufälliger Schlüssel erzeugt und auf dem Server registriert. Angeblich wird auch hier ein Teil des Telefonbuchs hochgeladen, aber mir ist derzeit nicht bekannt, ob Klartext oder gehashed.
Ansonsten kann ich über das Programm nicht viel sagen, denn es benutzt in meinem Bekanntenkreis noch niemand. Warten wir es ab.
Telegram
Telegram ist die Erfindung zweier russischer Jungs, deren Geschäftssitz und Infrastruktur jedoch gemäss eigenen Angaben in Berlin zu finden ist. Zudem wurde dieser Dienst ähnlich wie Threema recht stark beworben und hat auch eine auffallend hohe Zahl an Installationen, was eine gute Voraussetzung für eine weite Verbreitung ist.
Dieses System ist in Teilen quelloffen, dessen Verschlüsselung wurde aber auch schon kritisiert (auch wenn der Wikipedia-Artikel nicht mehr auffindbar ist). Auch hier wird das Telefonbuch scheinbar auf den Server geladen (gehashed?), was recht unattraktiv ist. Damit ein Gespräch überhaupt verschlüsselt wird, muss explizit ein Secret Chat gestartet werden.
Die Installation ist auch hier ziemlich simpel, identifiziert wird über die Handynummer. Die Optik erinnert recht stark an Whatsapp (z.B. die Häkchen für die Lesebestätigung).
Fazit
Die ersten Tage nach der Übernahme von Whatsapp haben neue Clients ein wenig ins Rampenlicht geführt, aber sicher noch keine Revolution hervorgebracht. Dafür sind die meisten WA-Benutzer schlichtweg nicht gewillt, etwas von ihrem Komfort aufzugeben. Man müsste sich ja umgewöhnen oder Freunde zum Wechsel überreden. Viel zu kompliziert.
Das für mich derzeit interessanteste Konzept ist Threema, schon allein deshalb, weil ein Schweizer Entwickler einen Dienst auf die Beine stellt, der nicht kostenlos ist (und damit ein Businessmodell ohne Werbung erst möglich macht) und recht intellektuell anmutende Hilfestellungen verfasst. Weitere Argumente sind die Integration in die Kontakteverwaltung, Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und die Möglichkeit, Bilder zu verschicken.
Swisscom IO bleibt für mich ebenso weit oben auf der Favoritenliste, weil die Swisscom ebenfalls in der Schweiz stationiert ist, zu klein ist, um mit den Daten riesigen Unfug zu betreiben und ebenfalls ein Business-Modell hat. Hier bleibt es abzuwarten, ob die App in Zukunft auch noch durch Videotelefonie punkten kann, weil sie dann ein weiteres Marktsegment beackern könnte, in dem alle anderen Alternativen derzeit nicht aktiv sind.
Bei den anderen beiden halte ich mich vornehm zurück und beobachte die Entwicklung. Die grosse Nutzergemeinde von Telegram und die Quelloffenheit von Textsecure in Ehren, aber Telefonbücher ungehashed hochladen ist und bleibt ein No-Go.